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Essay Deutsch

Warum Kunst schaffen in Zeiten des Artensterbens?

Ich spülte gerade Geschirr an einem grauen Abend während der Pandemie, als ich im Kopf das Alter meines Sohnes mit dem der Korallenriffe verrechnete. Mein Mann und ich, beide begeisterte Taucher, hatten ihm eine Tauchreise versprochen, sobald er zwölf Jahre alt wäre. Ich stand also am Spülbecken, das Wasser lief, und ich rechnete vor – zwölf Jahre, 2027 – und dann zurück, zu den Prognosen, wann die Korallenbleiche unumkehrbar werden würde. Die Jahre überlappten sich beinahe. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag: Die Welt, die ich ihm zeigen wollte – die Vielfalt und Farbenpracht des Lebens unter den Wellen – könnte verschwunden sein. Ich brach in Tränen aus, und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich davon je ganz erholt habe.

Wie hält man so viel Trauer aus? Ein Meer aus Trauer.

Unsere Körper sind darauf ausgelegt, intime Verluste zu betrauern – aber was ist mit dem Verlust der Welt, die uns trägt? Der Klimawandel ist ein planetarisches Phänomen, und doch werden wir ihn als persönliche Tragödie erleben: den letzten Schneefall, den letzten Ruf der Frösche, den letzten Sommer im Freien, den letzten Tauchgang.

Vor zehn Jahren dachte ich, ich würde einfach Kunst schaffen, inspiriert von der Natur – ein Liebesbrief an die Flora und Fauna meiner brasilianischen Kindheit. Mit der Zeit wurde mir klar: Ich erschaffe eine Elegie. Meine Collagen, zusammengesetzt aus Hunderten historischer Illustrationen, zeigen eine schwindelerregende Vielfalt – tropische Vögel, Korallenriffe, Orchideen, Insekten. Als ich das Ausmaß des Biodiversitätsverlusts begriff – über 70 Prozent der Tierwelt sind in den letzten fünfzig Jahren vernichtet worden – hatte ich zunächst heroische Ambitionen, mit meiner Kunst Bewusstsein zu schaffen. Heute denke ich, ich sage einfach: Das hat einmal existiert.

Die Pandemie ließ keine Ablenkung mehr zu.In diesen langen, stillstehenden Monaten ging ich täglich durch Berlins Parks und sah, dass fast jeder Baum die Spuren von Dürre oder Krankheit trug. Die Krise war aus den Schlagzeilen in die Landschaft übergegangen. Die Erkenntnis war kaum auszuhalten; ich weinte täglich und fiel in eine ängstliche Depression.

Ich suchte Hilfe in der Therapie, doch die meisten Therapeut:innen sind nicht klima-informiert. Als ich sagte, ich verzweifle, weil der Frühling zu heiß und zu trocken sei, antwortete eine Therapeutin, sie finde das Wetter schön. In der Psychotherapie gilt die Wahrnehmung der Welt oft als Spiegel der inneren Verfassung – aber was, wenn die Welt tatsächlich zerfällt? Meine Trauer passte nicht ins Paradigma. Zu erwähnen, dass unsere Enkel vielleicht keinen Winter mehr erleben würden, hieß, die fragile Blase der Verdrängung zu durchstoßen, in der wir alle leben. Ich sah zu, wie das Leben weiterlief, als wäre nichts, während die Wissenschaft uns längst sagte, dass wir auf einen Abgrund zusteuern. Ich verstehe die Trauer und die Wut der jungen Generation – das schmerzhafte Gefühl, dass die eigene Dringlichkeit in der Welt um einen herum nicht gespiegelt wird.

Auf der Suche nach Halt wandte ich mich den Büchern zu. Beim Lesen von Andrea Wulfs The Invention of Natureentdeckte ich Alexander von Humboldts Vision der Erde als eines einzigen, atmenden Organismus. Schon vor zwei Jahrhunderten warnte er, dass menschengemachte Gase das Klima verändern könnten. Seine Vorstellung von Verbundenheit – die Natur als globales System – resonierte tief mit meiner eigenen künstlerischen Praxis.

Etwa um diese Zeit begann ich, meinem Sohn Die Insel der blauen Delfine vorzulesen. Als Kind hatte mich die Geschichte eines Mädchens fasziniert, das gezwungen war, allein auf einer Insel zu überleben – sie vermittelte mir ein bleibendes Gefühl der Verbundenheit mit der lebendigen Welt. Beim Wiederlesen erkannte ich, dass solche Verbundenheit oft nicht mit Erfahrung, sondern mit Vorstellungskraft beginnt – mit Geschichten, die die mehr-als-menschliche Welt lebendig und schützenswert erscheinen lassen.

Der Amazonas-Regenwald meiner Kindheit leuchtet in meiner Erinnerung noch immer hell, während der reale Wald einem unumkehrbaren Kipppunkt entgegen gedrängt wird. Während der wirkliche Wald schwindet, wird er in meiner Vorstellung immer lebendiger. In diesem Sinne ist meine Arbeit – diese üppigen Collagen aus Flora und Fauna – ein Akt der Bewahrung: Eindrücke aus Jahrzehnten festzuhalten, bevor sie ganz verschwinden. Ein Liebesbrief an das Holozän.

Doch während wir die empfindlichen Ökosysteme unseres Planeten zerstören, zerfasern auch unsere kulturellen Bindungen an die Natur. Ein Artikel im Magazin Grist wies kürzlich darauf hin, dass Wörter wie „Moos“, „Rabe“ und „Eichel“ aus dem Wortschatz von Kindern verschwinden. Der Gebrauch naturbezogener Begriffe in der englischen Literatur ist seit 1800 um mehr als sechzig Prozent zurückgegangen. Wenn die Natur aus der Sprache verschwindet, verschwindet auch die Möglichkeit, sie zu lieben.

Wenn mein Sohn und ich eines Tages tatsächlich diese Tauchreise unternehmen, wird er das Meer bestaunen. Doch er wird nicht wissen, was verloren ging – die Korallen vor der Bleiche, die Fische vor der Überfischung, die Vielfalt vor dem Kollaps. Für ihn wird die verarmte Welt die einzige sein. Wissenschaftler nennen das den „shifting baseline“ – jede Generation akzeptiert eine ärmere Welt als normal.

Und doch glaube ich, dass Kunst und Erzählung diese Kluft überbrücken können – indem sie kommenden Generationen helfen, eine Vorstellung planetarer Vielfalt in sich zu tragen, selbst wenn sie sie nie direkt erleben. Wenn wir die biologische Vielfalt der Vergangenheit nicht bewahren können, können wir sie vielleicht in unserer Vorstellung lebendig halten. Manche nennen das „imagination rewilding“ – die Wiederverwilderung unserer Vorstellungskraft: die Fähigkeit zurückzugewinnen, sich blühendes Leben vorzustellen. Ich glaube, diese Fähigkeit, sich eine unversehrte Natur lebendig auszumalen, ist eine Voraussetzung dafür, reale Ökosysteme zu regenerieren.

Die Illustrationen, die ich verwende, stammen aus der vorindustriellen Zeit; die Vielfalt, die sie zeigen, ist längst verloren. Doch das Potenzial für eine neue geologische Ära existiert – und wir könnten helfen, sie hervorzubringen. In diesem Sinne ist meine Arbeit auch ein Versprechen: nicht, die für immer verlorenen Arten zurückzubringen, sondern die Möglichkeit zu bezeugen, dass das Leben – unendlich wandlungsfähig – in neuer Form wieder gedeihen kann.

Meine Kunst ist nicht nostalgisch; sie soll aufrütteln. Seht, was unser Planet hervorgebracht hat – staunt über die Vielfalt, über die schillernden Farben auf dem Flügel eines Kolibris. Schüttelt unsere Hybris ab: Unsere Technologie kann nicht einmal das bescheidenste lebenserhaltende System nachbilden – unseren Boden, der noch immer weniger verstanden ist als unsere Galaxie.

Wenn die Trauer zu schwer wird, stelle ich mir meinen Sohn vor – erwachsen, wie er unter die Oberfläche eines zukünftigen Meeres taucht: wärmer, aber noch lebendig. Ich sehe ihn schwimmen, Leben entdecken, das allen Widrigkeiten zum Trotz weiterbesteht.

Vielleicht ist das jetzt unsere Aufgabe: die Schönheit und den Verlust zugleich zu halten, zu trauern, ohne sich abzuwenden, und sich die Vielfalt vorzustellen, die eines Tages zurückkehren könnte. Denn bevor wir die lebendige Welt erneuern können, müssen wir sie erst in unserem Geist hell bewahren.